Montag, 14. März 2011

Zusammen in Indien (von Hannes)

Endlich zusammen in Indien. Nach fünf Monaten sehe ich meine Steffi in Indien wieder, endlich. Fünf Monate können sehr lang sein. Wir beide haben viel erlebt, haben in den fünf Monaten viel ohne den anderen erlebt. Daher genieße ich die Zeit mit meiner Frau zusammen jetzt ganz besonders. Wir reisen durch den Süden Indiens, erleben viel zusammen und haben viel Zeit, um zu reden und um die Gegenwart des anderen zu genießen.


Was es einem leicht macht, Indien zu lieben, sind die Menschen. Es begegnet einem überall Freundlichkeit. Gerade beim Reisen ist man auf die Hilfe anderer angewiesen. Denn in einer Gesellschaft, in der die Fähigkeit lesen und schreiben zu können keine Selbstverständlichkeit ist, weiß man entweder, wo am riesigen und vollen Busbahnhof der Bus zum nächten Reiseziel fährt, oder man muss sich durchfragen. Aushänge oder Anzeigen findet man nur schwer. Ich empfinde die Menschen als ehrlich freundlich. Sicherlich waren hier am TTS (Tamilnadu Theological Seminary) viele darauf gespannt, endlich den Mann von Steffi kennenzulernen und daher mehr als lieb, doch auch auf der Straße, beim Einkaufen, im Hotel, beim Essen oder eben auf Reisen begegnen einem die Menschen liebevoll. Sicherlich fällt man als weißer, großer und stabiler Mann mit Zopf hier sehr auf. Sowas sieht man hier selten.
Jemanden, den ich sehr mag und den ich, wenn ich noch länger hier wäre, gerne noch besser kennen lernen würde, ist Kasim. Jeder am TTS kennt ihn, da er nur wenige Schritte vom Campus entfernt einen kleinen „Teashop“ besitzt. Sein Laden ist nicht größer als eine kleine Garage. Für 5 Rupies bekommt man einen sehr leckeren schwarzen indischen Tee mit Milch und viel Zucker und ein nettes Gespräch. Sein Laden heißt „Home Tea“. Der Name ist Programm. Bei Kasim darf man sich wohlfühlen, wie zuhause. Als ich zum ersten Mal bei Kasim war, hat er mir schon von weitem die Hand entgegengestreckt und gerufen: „Hallo Hannes, wie geht es dir?“ Kasim kann ein wenig Deutsch. Weil bei ihm auch immer viele deutsche Studentinnen sind, hat er seinen Laden mal aus Scherz „German Home Tea“ genannt. Vor zwei Tagen hatte ich die Chance, Kasim etwas besser kennenzulernen. Hier auf dem Campus war am Freitag die „Dalit Arts Night“. Viele Künstler aus der Kaste der Dalits haben ihre Kunst präsentiert. Diese Veranstaltung ist deshalb etwas ganz besonderes, da in Indien aufgrund der im sozialen Gefüge des Landes teilweise strukturell immer noch stark verankerten Kastenstruktur ein antiquierter Kultur- und Kunstbegriff dominiert, in dessen klarer Polarisierung zwischen Hochkultur und Nicht-Hochkultur, die Kunst der „Unberührbaren“ oft nicht als solche anerkannt wird.  Bei der „Dalit Arts Night“ war auch Kasim. Zum ersten Mal habe ich ihn außerhalb seines „Teashops“ gesehen. Er hat mich gleich liebevoll umarmt, das hat mich gerührt. Freundschaftliche Zärtlichkeit zwischen Männern ist hier sehr intensiv. Männer halten sich oft beim Reden und Laufen durch die Stadt die Hände oder legen eine Hand auf die Schulter des anderen. Wenn zwei Männer zusammensitzen und reden, dann legt oft auch der eine seine Hand auf das Knie des anderen. Kasim konnte ich bei der „Dalit Arts Night“ besser kennenlernen. Er hat mir von seiner Familie und seinem Leben erzählt. Ich wünsche mir noch viel mehr solcher Gespräche mit den Menschen hier. Ich werde versuchen, die letzte Woche hier dafür zu nutzen.
Kasim und ich in seinem Teashop